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Teil 1: Ist Barrierefrei gleich behindertengerecht?

 

In der letzten Woche war ich mit meinem behinderten Sohn in Urlaub. Das erste Mal! Denn was soll ich sagen: Bisher traute ich es mir nicht zu, ihn in einer fremden Umgebung zu pflegen. Stattdessen holte ich ihn lieber zu mir nach Hause. Hier habe ich alles, was ich für seine Pflege benötige und kann bei Bedarf Unterstützung vom ortsansässigen Pflegedienst anfordern.

Zur Situation: Behinderter Erwachsener im Rollstuhl

Mit den Jahren wurde es immer schwieriger, zusammen mit meinem Sohn Familienangehörige und Freunde zu besuchen. Meist stellten schon die Stufen vor deren Haustüre die erste große Barriere dar. Und die Wohnungen sind meist zu eng und zu klein für einen Rollstuhlfahrer, eine Möglichkeit zum Windeln und Hinlegen ist auch kaum gegeben, zumal ich inzwischen meinen Sohn nicht mehr ohne Hilfen aus seinem Rollstuhl auf ein Bett/ Sofa und wieder zurück in den Rolli heben kann.

 

Als Alternative bleibt mir bisher noch immer die Möglichkeit, meinen Sohn zu mir nach Hause zu holen und Freunde und Angehörige zu mir nach Hause einzuladen. Die zweite Alternative wird seit einem Jahr immer attraktiver, nämlich meinen Sohn in seiner Einrichtung zu besuchen und mit ihm dort in das ansässige Bistro, dem sogenannten Haus der Begegnung zu sitzen, gemeinsam zu essen und die Pflege und weitere Betreuung den Fachkräften des Behindertenwohnheimes zu überlassen. Das ist schön; mir fehlt dabei jedoch das familiäre und heimeligere Zusammensein, das die eigenen privaten Räume bieten.

 

Was tun, wenn behinderte Menschen sich nicht mehr von sich aus besuchen können?

Seit geraumer Zeit haben wir nun in der Familie die Situation, dass eine der beiden Omas in ein Seniorenheim umsiedeln musste, und dabei auch aus unserer Stadt weg ins Allgäu in ihren Heimatort zurückzog. Wie kann diese Oma nun noch ihren behinderten Enkel sehen? Leider gehört sie zu einer Generation, die nicht gelernt hat, mit dem Internet und den digitalen Medien umzugehen. So wäre es zumindest ab und zu möglich gewesen, sich gemeinsam online via Videochat zu sehen und zu sprechen. Nachdem das nicht ging, gab es während der zwei „Corona-Jahre“ tatsächlich keine Möglichkeit eines Wiedersehens zwischen meinem Sohn und seiner Oma.

 

Inzwischen zeigt die liebe Oma Anzeichen einer beginnenden Demenz. Das brachte mich dazu, über meine Ängste und Komfortzone zu springen und nach einer barrierefreien Ferienwohnung im Allgäu zu recherchieren. Glücklicherweise fand sich eine, und wie wunderbar, diese war sogar ganz in der Nähe des Seniorenheims. Die Ferienwohnung war im September frei und so buchte ich spontan für eine Woche für 4 Personen: mein Sohn und ich reisten mit Unterstützung meines Lebensgefährten und meiner Mutter.

Ich spring über meine Komfortzone, betrete Neuland und buche eine barrierefreie Ferienwohnung

Mit dieser Buchung fing ein Vorbereitungsmarathon an, den ich naiv in knapp 2,5 Wochen zu meistern gedachte. Denn eine barrierefreie Ferienwohnung muss noch lange nicht behindertengerecht sein. Barrierefrei heißt lediglich, dass die Räumlichkeiten großzügig und geräumig bemessen sind, so dass ein Rollstuhlfahrer sich darin frei bewegen kann. Meist sind die Betten etwas niedriger in der Höhe als normal, das Bad geräumig und mit Hilfen wie Festhaltegriffen an Toilette und Dusche, Duschstuhl und ebenerdiger Dusche ohne Hürden versehen sind. Unsere Ferienwohnung hatte sogar eine Küche, in der ein Rollstuhlfahrer aus der Sitzposition heraus gut hantieren hätte können.

Barrierefrei ist noch lange nicht Behinderten -gerecht!

Was aber macht die barrierefreie Ferienwohnung erst behindertengerecht? Das ist je nach Behinderung und Behinderungsgrad sehr individuell. In unserem Fall benötigte ich einen Personenlift, um meinen Sohn aus dem Rollstuhl ins Bett und wieder zurück in den Rollstuhl liften zu können. Mit diesem Gerät stand und fiel unser Aufenthalt im Allgäu. Zum Glück war ich schon erfahren genug, zuerst einmal die Krankenkasse anzurufen um von dieser ein zuständiges Sanitätshaus vor Ort benannt zu bekommen. Denn das muss man wissen: Die Krankenkassen haben Verträge mit den Sanitätshäusern, und zwar für jedes einzelne Hilfsmittel. Ich kann demnach nicht einfach so bei jedem Sanitätshaus den Personenlift buchen, sondern nur bei einem Vertragspartner meiner Krankenkasse! Gesagt getan, ich hatte Glück, das Hilfsmittelzentrum eines Sanitätshauses in Wangen hatte einen Personenlift vorrätig, die Kommunikation mit dem zuständigen Mitarbeiter verlief reibungslos. Ich atmete auf, der Kontakt war schon mal geschafft. Nun benötigte ich noch eine ärztliche Verordnung für den Lift. Doch der für meinen Sohn zuständige Hausarzt war noch im Urlaub und die Praxis geschlossen.

 

Oje, das könnte knapp werden.

 

Zum Glück habe ich mit dieser Hausarztpraxis gute Erfahrungen, was Mailkontakt anging. Ich mailte also mein Anliegen hin, und am ersten Arbeitstag der Praxis kam die Nachricht, dass die Verordnung an das Sanitätshaus verschickt werde. Tags darauf kam eine Nachricht vom Sanitätshaus, die Verordnung sei eingetroffen. In diesem Moment war ich so dankbar und froh für den reibungslosen Kontakt sowohl mit Sanitätshaus als auch mit dem Praxisteam. Es war mir bewusst, dass ich äußerst knapp mit 2-3 Wochen Vorlauf für diese Vorbereitungen dran war. Ich konnte also aufatmen. Ein paar Tage vor unserer Anreise telefonierte ich nochmals mit dem Sanitätshaus. Das war gut, denn mein bisheriger Ansprechpartner war in Urlaub und die neue Ansprechpartnerin wusste von nichts.

 

Nichts läuft von alleine, es muss immer wieder nachgefragt und nachgehakt werden.

 

Jetzt konnte ich also nochmals aufatmen: Der Lift sollte am Wochenende vor unserer Anreise geliefert werden.

 

Oje, also Vermieterin der Wohnung anrufen und abklären, Kontakt zwischen Sanitätshaus und Vermieterin herstellen.

Nochmals eine kleine Aufregung.

Meine Lehre: Ein Pflegebett muss her!

Hat ab da alles geklappt? Im Wesentlichen ja. Der Lift war da, als wir anreisten, allerdings ohne Anleitung. Vor Ort stellte sich heraus, dass alle Betten sehr niedrig waren – da musste mein Rücken beim Pflegen, Windeln und Kleidung wechseln leiden. Da das fahrbare Untergestell des Lifts unter das Bett gefahren werden muss, kamen die beiden Doppelbetten nicht in Frage, denn die waren mit Holzleisten bis zum Boden rundum verkleidet. Es gab zum Glück noch ein Beistellbett, das ging.
Meine Lehre daraus: Beim nächsten Mal muss ein Pflegebett zusätzlich zum Lift bestellt werden.
Mit den Vermietern habe ich das schon mal vorab abgesprochen.

Fazit und Dank: Ich bin auf viele helfende und mitdenkende Menschen angewiesen

Was soll ich sagen: der kleine Urlaub war gelungen, die Omas haben sich gefreut und mein Sohn hatte mit uns ein paar schöne abwechslungsreiche Tage im Allgäu.

Ich danke allen Helfern: Meinem Lebensgefährten fürs Rundumversorgen, während ich meinen Sohn pflegte, meiner Mutter, dem schnell handelnden Praxisteam, den Mitarbeitern des Sanitätshauses und dem Lieferdienst der Hilfsmittelabteilung, der extra zur Einweisung nochmals vorbeischaute. Mein Dank geht auhc an unsere Vermieterin der Ferienwohnung für die gute Kooperation.

 

Ich bin auf all diese vielen Menschen angewiesen, damit so ein Urlaub überhaupt machbar ist. Noch habe ich selbst ein Auto, dass meinen Sohn transportieren kann, noch habe ich die Kraft, das zu stemmen. Wenn meine Kräfte nachlassen oder ich mir mein "Rollstuhltransport- Auto" nicht mehr leisten kann, werde ich noch mehr Unterstützung und Vorbereitung benötigen, um so eine kleine Reise zu tun.

 

Es wird ein nächsten Mal im Allgäu geben, dann mit Lifter und Pflegebett!

Und was hat das Ganze jetzt mit meinem Kursangebot auf Spendenbasis zu tun?

Das erfährst Du in Teil 2 dieses Blogartikels.

Hold on!

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