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Vom Gold der Erde

 

Die Sonne stand schon tief und schickte ihre Strahlen durch die Bäume. Die Erde atmete die tagsüber aufgenommene Wärme  aus und gab sie in die abendliche Kühle. Noch tränkte die Sommerhitze die Luft, bald würde sie der Feuchte und der Kühle des Herbstes weichen müssen. Satt und müde vom Tag ging ich meine abendliche Runde durch den Wald. Das Herbstlaub auf dem Boden lud mich mit warmer Decke zum Verweilen ein. Ich nahm Platz und schaute, lauschte. Die Luft war lau und trocken. Kein Windhauch, die Vögel sangen nur verhalten noch ihr Abendlied und kündeten vom Abschied eines langen Sommers. Worte von Rilke kamen  mir in den Sinn: Herr, es ist Zeit..., ja, es ist Zeit! Zeit, die Ernte zu besehen. Vielleicht braucht sie noch ein paar südlich-sommerliche Tage. Herr, es ist Zeit! Leg Deine Schatten auf die Sonnenuhren. Wenn man im Wald sitzt bekommt dieser Satz Substanz.
Die Schatten wurden durch die tiefstehende Abendsonne lang. Wie Skelette, ihrer Haut beraubt ragten dunkel die Silhouetten der Bäume im Gegenlicht zum Himmel auf. Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß. Ja, er war groß. Er war heiß und brachte wenig Regen. Das Laub der Bäume trocknete und fiel und bildet nun die dichte warme Erdendecke unter mir. Es deckt die Erde den Winter über zu und wird die Samen, das neue Leben, vor Frost und Tieren verborgen schützen.

 

Unter der Erde aber bleibt es warm, arbeiten die Kräfte weiter und machen sich ans Werk, das Frühjahr zu bereiten. In den Märchen kommen diese Kräfte in Gestalt der Zwerge vor. Sie arbeiten - unsichtbar vor unseren Augen - in und an der Erde und ihren Lebewesen -und damit auch an uns. Alles, was Materie ist und Teil der Erde, das gehört in ihr Reich. Die Pflanzen, allen voran die großen Baumwesen stehen als Mittler zwischen Himmel und der Erde. Sie nehmen Licht und Luft als Himmelsgabe auf und geben diese an die Erde ab. Von dieser kommt über die Wurzeln, Wasser und Nahrung als Erdengabe wieder in den Himmel. Kräfte sind am Werk, die wir nicht gänzlich allein mit dem Verstand erklären können. Denn dieser Austausch ist lebendig. Wer lange Zeit im Wald verweilt, lauscht, still wird und staunt, der kann sie ahnen, spüren und ein mit Worten kaum zu Beschreibendes  begreifen. Die Erdkräfte, die Zwerge sind es, die das Licht des Himmels aus der Pflanzen Wurzeln erhalten und es weiter in die Erde tragen. Sie hüten und bewahren das Licht in ihr. Wer einen Edelstein geschaut hat ahnt was dies bedeuten mag. Verdichtetes Sonnenlicht, von Bäumen und allen Pflanzen tief in die Erde getragen, von Zwergen gehütet und beschützt über die Zeit des Winters.

 

Im Winter ruht alles was auf der Erde lebt: Pflanzen, Tiere und der Mensch. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Auch wir Menschen sehnen uns nach Ruhe, nach Einkehr und nach Stille und sind wie alle Lebewesen den Naturkräften unterworfen. Doch immer ist da auch der Wunsch nach mehr: Gib ihnen noch ein paar südlichere Tage , lass noch ein wenig länger Sommer sein ich bin noch nicht ganz reif. Reif für was? Für den Winter? Für den Abschied? Fürs  Bilanzziehen und Vorweisen, was ich dieses Jahr gesät und geerntet hab? Reif, meinen Ertrag des Jahres zu nehmen und in den Keller als Vorrat für den Winter zu schaffen? Wird mein Ertrag reichen? All diese Fragen kommen mir in den Sinn.
Wenn die Zwerge diejenigen Kräfte sind, die in der Erde das Licht der Sonne bündeln, hüten, aufbewahren, anreichern  und sogar zu Edelsteinen verdichten. Wenn diese Zwergenkräfte nach dem Winter im neuen Frühling der Erde ihre Schätze als Wachstumskräfte zur  Verfügung stellen. Wenn das so ist- ein wunderschönes Bild -was heißt das dann für mich?

 

Auch ich Mensch bin ein Teil Natur und den Naturkräften und  - wie der Baum den Jahreszeiten - meinen Lebenszyklen unterworfen. Ich wachse, strebe nach Zielen, blühe, reife, sterbe ab, zieh mich zurück in mich, mein Haus, sammle, bündle mich, um wieder neu zu wachsen. Stehen denn auch mir solch Zwergenkräfte zur Verfügung? Was nehme ich an Himmelskräften auf? Was kann ich davon der Erde geben? Diese Antwort kann jeder Mensch nur für sich selber finden. Die Zwerge in der Erde nehmen alles auf, sie danken es uns mit ihren Gaben. Im Märchen erscheinen sie dem Helden und stellen ihn auf die Probe. Hat er ein reines Herz belohnen sie ihn reich mit ihrem Erdengold. Fällt er durch ihre Prüfung, wird er nur schwarze Kohlen oder Staub in seiner Tasche nach Hause tragen.

 

All dies bedenkend saß ich lange sinnend auf dem Laub im Wald. Die Sonne stand bereits ganz tief am Horizont und sandte ihre letzten Strahlen durchs Geäst. Es wurde  Zeit sich auf den Weg zurück zu machen. Ich schaute um mich und meine Augen weiteten sich vor dem Schauspiel, das sich mir bot.  Die Sonnenstrahlen hatten an Intensität im dunklen Wald gewonnen. Wie goldene Lichtstrahlen liefen sie über den Waldboden und einzelne Baumstämme hinauf. Das Gold verblasste, der Raum um mich herum verdunkelte sich rasch. Mit einem mal glühte und funkelte es wie aus der Erde selbst hervor. Ein letztes Leuchten, ein Gruß der Erde unterm dunklen Laub. Da war es mir, als hätte ich ihr Gold hinter ihrem grauen Mantel schimmern sehen.

 

Es fröstelte, und wie im Zauber von dem Erlebten  ging ich zurück nach Haus. Herr, es ist Zeit, der Sommer, er war groß, die Erde hat mich reich beschenkt; ich lasse dich nun los.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Renate Preiß (Sonntag, 10 Mai 2020 09:19)

    Wunderschöne Texte, liebe Elke!
    Ich halte inne und komme bei mir an, und es wird ruhig, weich, weit und offen... vielen Dank für deine Wort-Berührung!